März 2009 Weihnachten auf der Straße

Chintai

Weihnachten auf der Straße 2009

Am 11.12.08 bin ich zurück in Tiruvannamalai/Südindien, nachdem ich im letzten Jahr beschlossen hatte, den obdachlosen, Frauen irgendwie zu helfen. Wie – war im letzten Jahr unklar geblieben, nur dass ich etwas tun musste, war klar. Kurz vor meiner Abreise im letzten Jahr hatte ich mich an den  deutschen  Ashram Shantimalai gewandt.
20% meiner Yogaeinnahmen waren während des Jahres 2008 in die Witwenkasse geflossen. Gerda, die Leiterin des Sportvereins Kessenich, in dem ich Yoga unterrichte, hatte anlässlich ihres 70-jährigen Geburtstags auf Geschenke verzichtet und stattdessen um Spenden  für unsere Witwen gebeten. Ein Benefiz-Yoga-Rückenseminar und ein Flohmarkt auf der Schwäbischen Alb brachten ebenfalls Spenden ein und immer wieder wurden mir von Yogaschülerinnen Scheine zugesteckt, besonders jetzt vor meiner Abreise nach Indien. Jeder Cent sollte den Frauen zugute kommen, aber wie?

Auf dem Nachhauseweg begegnet mir der rote Sadhu Ramakrischna.  Ich weiss es fast sofort: Ramakrischna wird mein Helfer und Dolmetscher sein, so dass meine Witwen endlich eine Stimme kriegen. Gedacht – getan! Mein Plan, den obdachlosen Frauen zu helfen,  begeistert ihn. Wir fangen auf der Stelle mit der Arbeit an und interviewen die erste Frau auf den Stufen vor einem tibetischen Laden.

Es ist Chintai. Sie hat Lepra. Ihr Fuss ist so verkrüppelt und so abgeknickt, dass sie sich nur mühsam mit einem Stock fortbewegen kann. Ihr Mann hat sie schon vor langer Zeit verlassen. Von vier Töchtern im heiratsfähigen Alter sind die zwei gesunden vor einiger Zeit weggelaufen. Sie hat nie wieder von ihnen gehört. Die beiden Töchter, die noch bei ihr wohnen, sind taubstumm und geistesgestört. Bevor sie morgens mit dem Bus aus ihrem 13 Rupies (unendlich weit, da es viel Fahrgeld ist) entfernten Dorf nach Tiruvannamalai fährt, muss sie die Töchter einschliessen, sonst würden sie weglaufen oder von Männern vergewaltigt werden. Sie wohnt in einer Art Garage, d.h. sie hütet das Haus von Menschen, die gerade in Bangalore sind. Wenn diese zurückkommen, weiss sie nicht mehr wohin. Im Zipfel ihres Wickelrocks hat sie eine halbe Handvoll Reiskörner gesammelt. Trotzdem ist sie gerade glücklich. Ihre Augen strahlen, weil sie soviel Zuwendung bekommt und Interesse. Ramakrischna gehört als Sadhu (Gottsucher) zu keiner Kaste, ich als Fremde bin auch total frei, zu tun, was ich will und der Ladenbesitzer aus dem Himalaya kann ebenfalls tun, was er will. Niemand von uns behandelt sie als “Outcast” und “Geächtete”. Wir sind den traditionellen Gebräuchen Indiens nicht unterworfen. Wir freuen uns alle über unsere Freiheit.